Heimatkalender 1907

Der Schraden Anno 1907

 

In der "Heimatkunde des Kreises Liebenwerda von" 1907 heißt es:

 

Wenn wir von Ortrand aus die Straße nach Westen über Kmehlen, Großthiemig und Hirschfeld wandern, dann folgen wir der Spur der Kaufleute, wenn sie in alter Zeit aus Schlesien nach Leipzig fuhren. Diese Straße, auf welcher 1812 ein Teil der großen Armee nach Rußland zog, die auch 1760 von den Preußen auf ihrem Marsche nach Torgau und 1813 von Blüchers Armee benutzt wurde, führt immer am Nordabhange jenes Höhenzuges hin, der unseren Kreis von Sachsen trennt. Während uns zur Linken jene zum großen Teile bewaldeten Höhen die Aussicht sperren, schweift der Blick nach rechts über eine weite Tiefebene, die im Norden von der Schwarzen Elster begrenzt wird. Diese Ebene führt den Namen "Schraden" und wird in ihrer ganzen Länge von der Pulsnitz durchschnitten, deren Ufer durch hohe Dämme gebildet werden. Zahlreiche Entwässerungsgräben, die sich alle im "Hauptschradengraben" vereinigen, durchziehen die Niederung von Ost nach West; trotzdem haben die Bauern in nassen Jahren Mühe, den Acker zu bestellen oder seinen Segen zu bergen. In dieser Tiefebene finden wir eine Anzahl herrschaftlicher Vorwerke, und einzelne Gehöfte - Abbaue der umliegenden Dörfer - liegen zerstreut umher, aber nirgends außer am Südrande ist eine zusammenhängende Ortschaft zu erblicken; denn bis zum Ende des 16. Jahrhunderts war der größte Teil des Schradens ein undurchdringlicher Sumpfwald, der von jeher eine wichtige Völkerscheide bildete.

 

Die Gefahren die mit einem Eindringen in diesen Wald verknüpft waren, sowie der düstere Charakter der ganzen Landschaft lassen es erklärlich erscheinen, warum unsere Vorfahren ihr den Namen "Schraden" gaben; denn dies Wort ist vom althochdeutschen "scrato" abgeleitet und bedeutet soviel wie Waldteufel, Schreckwesen; sie dachten sich diesen Wald mit bösen Geistern bevölkert. Heute beschränkt sich der Waldbestand des Schradens nur noch auf das Oberbuschhäuser Revier südlich von Plessa. Als Grenzgebiet war er ursprünglich gemeinsames Eigentum der umwohnenden Adelsgeschlechter. 1582 wurde er jedoch zwischen dem Kurfürsten, Kmehlen, Elsterwerda und Merzdorf geteilt. Die Jagd auf großes Wild behielt sich der Kurfürst vor, zahlte aber hierfür eine jährliche Abfindungssumme. Die in der Nähe liegenden Dörfer hatten das Recht, hier ihr Bau- und Brennholz und was sie sonst an Stangen und dergleichen brauchten, zu holen. Weil dabei der Wald arg verwüstet wurde, trat 1584 eine Schradenordnung in Kraft, wodurch diesem Übel gesteuert wurde. Nachdem ein schrecklicher Brand 1590 diesen Wald stellenweise gelichtet hatte, fing man an die Stöcke zu roden und das Land durch Gräben zu entwässern und urbar zu machen; aber lange Zeit hatten die Bewohner einen hartnäckigen Kampf mit dem Wasser zu führen.

 

Oft musste der Schradenbauer das Gras halb nackend im und unter Wasser hauen und mühsam auf erhabene Plätze zum Trocknen schleppen. Wie heute noch im Spreewalde, benützte damals der Bauer den Kahn als Beförderungsmittel, worauf noch der "Schiffgraben" hinweist. Erst durch die Regulierung der Pulsnitz trat eine Wendung zum Besseren ein. In dieser Niederung entstanden nach und nach die herrschaftlichen Vorwerke Reisdamm. Buschhaus, Schradenau, Rotes Buschhaus und Schönau. Bauerngehöfte entstanden jedoch viel später, denn als Erster siedelte sich 1848 ein Tettauer Korbmacher am Schiffgraben an. Andere folgtem seinem Beispiele, und nun kam allmählich mehr Leben in diese Gegend.

 

Um den Schradenkindern den Besuch des Schulunterrichts und den Erwachsenen die Teilnahme am Gottesdienste zu erleichtern , ließ Freiherr Zacharias von Lingenthal aus Kmehlen 1878 ein Schul- und Bethaus bauen und nannte es zu Ehren seiner Gemahlin '"Luisenschule". Sie liegt an der Straße von Mückenberg nach Ortrand und wird jetzt von 65 Kindern besucht. Die Bewohner des Schradens treiben nur Ackerbau und Viehzucht und versorgen die ganze Umgegend mit jungen Gänsen. Hopfenbau und Viehzucht überwogen in alter Zeit bei weitem den Getreideanbau. Dem gänzlichen Mangel an industrieller Beschäftigung sowie der Abgeschlossenheit vom Weltverkehr ist es zuzuschreiben, dass sich hier die Sitten der Väter reiner erhielten als anderwärts. Hier weht das "Schradenbanner", die blaue Bauernschürze gerade noch so wie vor Jahrhunderten; selbst das "Austreiben des Todes" hat sich in gewisser Form bis auf den heutigen Tag erhalten.

 

Die Flure und Orte des Schradens führen im Vergleiche zu denen des angrenzenden Ländchens meistens deutsche Namen, auch der Dialekt ist ganz anders als dort; denn zur Zeit der Germanisierung haben sich hier viele Deutsche niedergelassen. Auf eine solche Einwanderung aus Thüringen und Franken deuten auch die "Frankenmühle" und die "Fränkischen Wiesen" bei Hirschfeld sowie das schon vor dem 30 jährigen Kriege eingegangene "Frankendorf" hin. Im Schraden liegen die Orte: Ortrand, Klein- und Großkmehlen, Frauwalde, Großthiemig, Hirschfeld, Gröden, Merzdorf, Seifertsmühl, Wainsdorf und Krauschütz.